WOLFRAM SCHEFFEL: PROMENADE
Text für den Katalog Promenade, 2014
Gleißend hell beleuchtete Hauswände in der südlichen Mittagssonne, geschlossene Türen und Fenster, zum Schutz vor der Hitze, leuchtend rote Giebel der nach hinten ansteigend bis zum oberen Bildrand gestaffelten Häuser, darüber ein kleiner Ausschnitt eines makellos hellblauen Himmels und schließlich im Bildzentrum von oben nach unten reichend die zugleich amorphe und geometrische, wie abgelöst wirkende ein Eigenleben führende Form des in voll klingenden Violett-Tönen gehaltenen Schattens. In wenigen Worten zusammengefasst, sind es diese Elemente, aus denen sich das Bild: „Schatten zwischen den Häusern“ aus dem Jahr 2009 zusammensetzt. Der Titel bezeichnet das, was dem Maler zum Bildanlass wurde, was sein Interesse hervorrief, das Auge bannte.
Auf seinen Fahrten und Spaziergängen durch Landschaften, Dörfer und Städte sammelt Wolfram Scheffel Gesehenes, Ausschnitte und Blickwinkel und macht sie zu seinen Bildmotiven. Die Landschaften und Architekturen werden übertragen in eine Welt der Farben und Formen. Sie durchlaufen dabei einen künstlerischen Komprimierungsvorgang, der sie einer Klärung, Verdichtung und Steigerung unterzieht. Mit Abschluss dieses Vorgangs finden sie sich wie ein Konzentrat ihrer selbst auf der Leinwand wieder. Deshalb sind Wolfram Scheffels Bilder der gesehenen Realität ähnlich und unähnlich zugleich. Sie geben die realen Gegebenheiten wieder, die Essenz einer gesehenen Situation, sind aber als topografische Orientierungsvorlage nicht zu gebrauchen.
Das Bild „Schatten zwischen den Häusern“ gibt eine Gasse in einem bestimmten Ort am Mittelmeer wieder. Kennt man den Ort und die Gasse, sieht man wie dicht der Maler in seinem Bild an der Wirklichkeit bleibt und wie genau er von der gesehenen Situation ausgeht. Das Bild selbst – und alle anderen Bilder auch – ist aber dem Realismus nicht verpflichtet. Die Bilder von Wolfram Scheffel vereinen in sich ein Innen und Außen, indem sie die Berge, Bäume, das Meer, die Häuser, Dächer und Fenster wiedergeben, aber nicht so wie sie im wirklichen Leben erscheinen, sondern so, wie der Künstler sie schafft. Er überträgt sie, löst sie ab, von ihrer bindenden Materialität und lässt sie im Paralleluniversum seiner Malerei neu erstehen. Mit dieser Ablösung einher geht eine Befreiung von allzu strenger Abbildungstreue und Erdenschwere. Proportionen und Größenverhältnisse können sich verschieben, vorhandene Elemente wie Lampen, Autos und Straßenschilder, zivilisatorische Zeichen, Menschgemachtes fällt weg. Biologisch-Kreatürliches, die Menschen und auch die Tiere, spielen in den Bildern keine Rolle. Die Bilder sind kein Spiegel der Außenwelt – sie sind keine Abbilder – sondern in ihnen formt sich eine eigene Wirklichkeit, die Bilder selbst sind eine neu geschaffene Welt.
In diesem Bilderkosmos wirken eigene Gesetzte und Gepflogenheiten. Mit Hilfe eines Zeichensystems von Formen und Farben, von Komposition und Perspektive, von Licht und Schatten wird diese Bildwirklichkeit geschaffen. Sie ist eine künstlich erzeugte, eine gemalte Sprache, die räumlich Gesehenes und sinnlich Gefühltes in die Fläche der Leinwand übersetzt. Im Vorgang des Malens findet eine Umwandlung, eine Transformation statt. Der Ausgangspunkt, der Anlass für das Bild, bleibt erhalten, wird oft sogar besonders betont und entwickelt ein Eigenleben wie im „Schatten zwischen den Häusern“ – der Schatten selbst, in seiner amorphen und zugleich geometrischen Gestalt – zum dynamischen Element wird. Solche bildwirksamen Faktoren finden sich in allen Gemälden von Wolfram Scheffel. Die Transformation von Wirklichkeit in Malerei ist eine Um- oder auch Überformung im Sinne einer „alchimistischen“ Akzentuierung („aus Stroh spinn Gold“), eine Überformung auch in Bezug auf die gewählten Farben, die sich fast immer von der realen Situation ablösen und nur sich selbst und dem Bildgefüge, dem inneren Gleichgewicht des Bildes dienen. Die Farben erzeugen ihre eigenen autonomen Klänge und rufen Gestimmtheiten hervor. Die farbigen Flächen sind ausschließlich im Bild existent durch Malerei hervorgebracht. Sie sind so eigen und speziell, so komplex und herausfordernd, dass diese Bilder ihr eigentliches Potenzial erst entwickeln in der direkten Anschauung, im unmittelbaren Erleben. Im eigenen Sehen, liegt die Geschichte der betrachtenden Person und daher liegt die Wirkung eines beliebig aus der vielfältigen Bildwelt Wolfram Scheffels herausgehobenen Werkes wie dem „Schatten zwischen den Häusern“ auf einer Ebene, die ein anderer Maler, Robert Delaunay, zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit folgenden Worten zu umschreiben versucht hat: „Es sind nicht mehr Äpfel in einer Fruchtschale, kein Eifelturm, keine Straße, keine Außenansichten, was wir malen ist der Herzschlag des Menschen selbst.“
Christiane Grathwohl